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Schlafsaal Ende der 1970er Jahre

Ybbs als Spiegel der Psychiatrie

Von der Irrenanstalt zu modernster Therapie

Ein langer Weg

„Irrenanstalten“ ähnelten Strafanstalten
Die vielzitierte “gute alte Zeit” war für psychisch kranke Menschen gar nicht gut. Die Art und Weise wie in Ybbs in den letzten 180 Jahren psychisch kranke Menschen behandelt und betreut wurden ist ein Spiegelbild der allgemeinen Psychiatriegeschichte. Als im Mai 1817 die ersten psychisch Kranken aus dem überfüllten “Narrenturm” des Wiener allgemeinen Krankenhauses nach Ybbs in das Armenhaus verlegt wurden, unterschieden sich die Behandlungsmethoden psychiatrisch Erkrankter kaum von denen des Strafvollzugs. Zwangsmaßnahmen waren gang und gäbe.

Humanität zog ein in die Psychiatrie 
Mit der Übernahme der Leitung durch Dr. Karl Ritter von Spurzheim 1842 ließ die Ybbser Anstalt diese unzumutbaren Zustände nicht nur hinter sich, sie übernahm nun gar eine Vorreiterrolle in der menschlichen Behandlung psychiatrisch erkrankter Menschen. Die Zwangsmittel mit denen bis dahin die Kranken traktiert worden waren, wurden nun rasch beseitigt, ein freier Umgang mit den Patienten und eine humane Behandlung hielten Einzug. Für seine Verdienste um die Modernisierung der Behandlung psychisch Kranker und seine Umsicht beim Umbau des Hauses erhielt Direktor Dr. Karl Spurzheim mit allerhöchster Entschließung vom 2. Oktober 1862 vom Kaiser das “Ritterkreuz des Franz-Josefs-Orden” verliehen.

Die Verwahrung als Allheilmittel
Über lange Jahrzehnte war die Anstaltspsychiatrie geprägt vom Gedanken der Verwahrung. Der psychisch erkrankte Mensch sollte abgeschieden von der Gesellschaft und seinem sozialen Umfeld möglichst streßfrei gehalten werden. Neben der dauernden Absonderung standen als Behandlungsmethoden vor allem die Arbeitstherapie und erste Anwendungen der Psychotherapie zur Auswahl. Natürlich gab es auch Versuche, Geistesstörungen durch körperliche Einwirkungen zu begegnen. Moderne Methoden waren etwa die Schlaftherapie – oder die Elektrotherapie.

Die Euthanasieaktion des Dritten Reiches
Mit dem Anschluss Österreichs an Hitler – Deutschland im März 1938 waren die österreichischen Heil- und Pflegeanstalten auch in die 1939 beginnende Euthanasieaktion des Dritten Reiches einbezogen. Diese abscheuliche und verbrecherische Aktion kostete auch vielen in Ybbs untergebrachten Geisteskranken das Leben.

Der “Siegeszug” der Psychopharmaka 
Nach dem zweiten Weltkrieg etablierte sich die Psychopharmakatherapie. Die Psychopharmaka fanden ab den sechziger Jahren eine ungeheuer rasche Verbreitung. Vielfach machte sich eine Psychopharmakaeuphorie breit, die in den sechziger Jahren durch erweiterte Kenntnisse der Nebenwirkungs- und Abhängigskeitspotentiale eine Kritik an einer nicht immer rational begründeten Verordnungspraxis in ihr Gegenteil umschlug.

Die Pfeiler der modernen Psychiatrie 
Die Reformbestrebungen der Siebzigerjahre auf dem Gebiet der Psychiatrie mündeten im Konzept einer möglichst im sozialen Umfeld des psychisch kranken Menschen durchzuführenden Behandlung und Betreuung. Die bisher überfüllten psychiatrischen Anstalten leerten sich. Es kam und kommt nur mehr der in stationäre Behandlung, der eine solche auch wirklich braucht. Waren zu Anfang der achtziger Jahre in Ybbs noch fast 1200 Patient*innen untergebracht, so sind es heute nicht einmal ein Viertel. Im Psychiatrischen Krankenhaus sind es durchschnittlich 130 Patient*innen, die alle freiwillig in Behandlung sind und denen ein sehr individuelles Therapiekonzept auf der Basis der Psychotherapie, Pharmaka- und Sozialtherapie geboten wird.

Schlafsaal Ende der 1970er Jahre
Portrait Prim. Dr. Karl Spurzheim
HR Dr. Kurt Sindermann